Room 55 (2011)
PERSONALITY / CEM MUSTAFA ABACI
Cem Mustafa Abaci – ein Name, eine Marke. Der 42-jährige, in der Türkei geborene, jedoch ab dem 8. Lebensmonat in Frankfurt beheimatete Designer steht wie kaum ein Zweiter für Individualismus und Engagement, wenn es um seine Kreationen geht. Nicht zuletzt durch seinen 2010 erschienen Bildband „Ich bin – I am“, welcher seine Schöpfungen an Frankfurter Prominenten zeigt, wurde er in den letzten Jahren einem breiten Publikum ein Begriff. Abaci sieht sein Werken nicht als reinen Jaob: Es ist seine Berufung, sein Leben. Grund genug für room55, im direkten Gespräch mehr über die Persönlichkeit und die Anfänge von Abaci zu erfahren. Dazu empfing er room55-Chef Sebastian Grafen zum gemütlichen, offenen Austausch in seinem Privathaus im Westen Frankfurts. Einblicke in das Leben eines Visionärs.
Herr Abaci, Ihre Liebe und Verbundenheit zu Ihrer Heimatstadt Frankfurt ist bekannt. Frankfurt hat für viele Auswärtige trotzdem immer noch ein schlechtes Image.
Mich stört es, dass Frankfurt lange Zeit so schlecht geredet wurde. Jedoch hat sich das durch das Zusammenwirken von vielen Menschen gewandelt. Es tut sich sehr viel in der Stadt. Da es meine Heimat ist, tut es mir einfach immer weh, wenn die Leute ein falsches Bild von Frankfurt haben.
Was schätzen Sie besonders an Mainhattan?
Die Vorteile gegenüber den anderen Metropolen liegen für mich auf der Hand. Wir sind die kleinste Weltstadt. Klein, kompakt, mit guter Infrastruktur, sehr hohem Standart und Anspruch, in 15 Minuten bist am Tor der Welt – dem Flughafen.
Aber Sie bemängeln trotzdem die Stadtplanung...
Ich finde es von der Planung her nicht gelungen, dass sich alles um die Goethestraße (das andere Extrem ist die Zeil) abspielt. Es fehlen die Geschäfte in den Straßen drum herum. Statt interessanten Geschäften haben wir Büroeingänge, Kantinen, Postabteilungen oder Parkhauseinfahrten. Das ist Verschwendung. Zumal die Stadt sowieso klein ist. Dadurch werden die Mieten hochgetrieben und es fehlt der Charme. Die Stadt wirkt dadurch steriler. Es gibt viele Kreative mit Geschäften in anderen, ungünstigeren Lagen, aber die kommen dadurch schlecht weg. In der Goethestraße hingegen sind fast nur „global player“ angesiedelt. Die Lageproblematik ist in Frankfurt schon markant. Da muss echt mal was passieren. Es gibt mit Sicherheit viele interessante lokale Konzepte, die die Innenstadt und somit das Bild von Frankfurt bereichern würden. Stattdessen reihen sich Geschäfte, die es überall gibt.
Sie sind mittlerweile in der Junghofstraße angesiedelt, einen Steinwurf von der angesprochenen Goethestraße entfernt.
Zunächst war ich fünf Jahre auf der Großen Eschenheimer Straße platziert, dann erst kam der Umzug in die Junghofstraße. Für mich ein Volltreffer. Meine Marke ist kein Global Player, aber super individuell und da passt die individuelle Lage gut.
Weg von der Lage, hin zu Ihren Anfängen. Wie kam es denn dazu, dass aus Mustafa Cem Abaci ein erfolgreicher Designer wurde?
Ich sehe mich als Autodidakt. Schon bevor ich in die Schule kam, habe ich gerne Anzüge getragen, die Liebe für die Kleidung wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Musik, Philosophie, Design waren schon immer meine Interessensschwerpunkte.
D.h., wenn man Sie als Kind gefragt hat: „Was willst Du später mal werden?“, kam als Antwort...
Ich will der sein, er den Autos die Form gibt. Mit fünf, sechs Jahren habe ich bereits Autos gezeichnet. Erst mit 13 Jahren hab ich angefangen, selbst an Klamotten zu experimentieren, also eigene Ideen umzusetzen.
Und wie ging es konkret weiter, also schulisch bzw. mit der Ausbildung?
Eigentlich sollte es zunächst mal ein klassisches BWL-Studium werden, da ich aber nicht gleich einen Studienplatz bekommen habe, hatte ich die Gelegenheit mich doch für meine eigentliche Mission zu entscheiden. Bin spontan in eine renommierte Schneiderei zum Praktikum. Dort bin ich aber nach vier Monaten rausgeflogen. Nicht aus Faulheit, sondern weil ich genervt habe, da ich unter anderem die Königsdisziplin im Schneidern lernen wollte, statt Hosen zu kürzen.
Die Anfangserfolge geben Ihnen ja auch Recht!
Ich konnte einige Designerpreise abräumen, u.a. den „Betty Barclay Preis“ 1989. Was mir wiederum neue Kunden verschafft hat, die anfingen, meine Kreationen abzukaufen. So ging es immer weiter bis Mitte der 90er.
Dann ging es ja steil bergauf. Gab es auch Rückschläge?
Einen großen Rückschlag sogar. Das war Mitte der Neunziger. Irgendwann war die Menge und der Aufwand nicht mehr zu finanzieren, da musste ich von heute auf morgen aufhören. Ich hatte 26-27 Geschäfte als Kunden im deutschsprachigen Raum, aber das hat nicht gereicht. Danach habe ich dann zwangsläufig studiert, auf einer Privatschule lerne ich „Modellmacher“ (Designer und Schnitttechniker).
Wie haben Sie das finanziert, nach der ersten Pleite?
Mit einem Darlehen. Nach der Schule konnte ich dann zunächst auch nur freiberuflich weiter machen. Ich habe parallel aber immer an der Verwirklichung meiner heutigen Marke gearbeitet.
Damals war die Zeit von Jean Paul Gautier oder auch Thierry Mugler. Haben Sie sich mit denen verglichen oder wollten Sie so sein wie die?
In meinem Kopf war ich mit meinem Anspruch an Design mit dem genannten Personen in einer Liga. Ich war auch davon überzeugt, in dieser Liga zu spielen, aber das war natürlich ein Traum. Man muss festhalten: Das sind nicht nur Designer, sondern insbesondere große Konzerne mit starken Finanziers. Es ist auch ein riesen Unterschied, ob man in Paris oder Frankfurt ist.
Hatten Sie immer klare Vorstellungen von Ihrer Marke?
Die „DNA“ der Marke war schon immer in meinem Kopf. Doch die ökonomische Seite hatte zunächst gefehlt. Da musste ich den klassischen Weg gehen, mit Existenzgründungsdarlehen. Da nehmen Dich alle möglichen Leute, Institutionen durch die Mangel – letzten Endes, hat es funktioniert. Die Leute, die an mich geglaubt haben, haben Recht behalten. Es ist schön, das im Nachhinein zu reflektieren. Dann hatte der Rückschlag zunächst ja auch seine guten Seiten. Mit 21 dachte ich noch: Das geht einfach von der Hand. Es war aber gut, dass es so gekommen ist, dass ich auf Nase gefallen bin. Sonst wäre ich heute nicht der Mensch, der ich heute bin. Heute verwende ich die besten Stoffe der Welt, und meine Ware wird von den besten Schneidern der Welt in Italien produziert. Dadurch, dass ich nicht mehr an andere Geschäft verkaufe, habe ich auch sehr attraktive Preise.
Finden Sie die Mode von heutigen Jungdesignern, bspw. Philipp Plein, gut?
Es ist mir zu plakativ. Es ist was ganz anderes, was ich mache. Ich finde, unsere Stile kann man schlecht vergleichen. Ich ziehe lieber meine Dinge an.
Würden Sie vom Ruhm her gesehen gerne tauschen?
Wie heisst es? „don´t believe the hype“… Ich bin nicht scharf auf Hype um meine Person. Ich lebe gerne Inkognito, ohne beobachtet zu werden. Meine Selbstbeobachtung ist mir genug. Hype bedeutet meistens auch: Was schnell kommt, geht schnell, hat für mich keine Substanz.
Man merkt, dass Sie einen sehr individuellen Anspruch haben und den Job nicht in erster Linie wegen dem Geld machen.
Wenn ich es wegen dem Geld gemacht hätte, hätte ich was anderes gemacht und wäre nicht jahrelang ohne rumgelaufen.
Hat der Kampf sich also gelohnt?
Ich mag das Wort „kämpfen“ nicht. Kämpfen assoziiert Qualen und ist ein Modewort in unserer Gesellschaft.
Mit welchem Wort würden Sie Ihren Weg beschreiben?
Mit Vision oder „aus Wunsch wurde Wirklichkeit“. Ich hatte eine Vision und bin drangeblieben. Natürlich hab ich auch gekämpft, aber ich finde, das Wort wird so inflationär verwendet, schreckt ab und unterstützt die Gesellschaft nicht in Ihrem Verhalten. Wenn man nur von Kampf spricht, sind die Menschen auch in „Kampfstimmung“. Das artet aus in eine „Ellenbogengesellschaft“. Ich versuche stets mich selbst zu übertreffen, nicht andere.
Was die meisten Medien aber heute so vermitteln.
Ja, aber was ist das für eine Inspiration?! Wenn den Teenies suggeriert wird: Ihr müsst die Ellenbogen ausfahren. Die sollen doch einfach Ihr Bestes geben und sollen Qualität mit Leistung unter Beweis stellen.
Apropos Qualität: Tragen Sie nur die eigenen Sachen?
Na klar, was denn sonst. Es gibt nichts Besseres für mich.
Wo holen Sie sich die Inspiration für Ihre Kreationen?
Hauptsächlich aus meinem eigenen Leben, bestimmten Situationen, aus der Natur, von anderen Menschen. Auch Probleme können inspirierend sein.
Und er Privatmensch?
Ich lese sehr viel. Überwiegend philosophische, spirituelle Bücher.
Lesen beansprucht viel Zeit. Wo nehmen Sie die Zeit her?
Ich nehme mir diese einfach. Jeden Tag. Vor dem Schlafen gehen und nach dem Aufstehen.
Trotz der vielen Arbeit?
Im Prinzip ist mein Arbeitsleben mein Privatleben. Ich bin eigentlich ständig am Arbeiten, wobei ich es nicht als Arbeiten im herkömmlichen Sinne bezeichnen möchte.
Eher Berufung?
Ja, es ist meine Mission. Die Welt, die Menschen zu bereichern, zu verschönern, einfach die Ästhetik und Schönheit aus allem rauszukitzeln.
Warum designen Sie eigentlich nur Herrenmode?
Das Spannende bei Männern ist für mich innerhalb gesellschaftlicher Konventionen seine Individualität zu leben. Die Regeln aufzuweichen, nicht zu brechen. Keine Revolution, Evolution. Sich nicht aufdrängen. Sich keinem Aufzwingen, aber natürlich auch kein Mainstream. Ich beschäftige mich viel mit Konditionierung, der Definition von Männlichkeit, usw. Früher waren die Männer in Sachen Kleidung eher wie die Frauen von heute – sehr bunt, opulent. Heute ist der Mann eher die graue Maus. Das ist doch interessant wie sich das umgekehrt hat. Das weiter auszuführen würde aber den Rahmen sprengen…
Aber das Rad neu zu erfinden dürfte schwierig sein.
Ich möchte nicht unbedingt jede Saison auf Teufel komm raus „neue Dinge“ entwerfen. Eigentlich will sowieso keiner wirklich was Neues, und alle 6 Monate meinen Standpunkt komplett umzuwerfen ist auch nicht meine Sache. Das ist eher Mode. Ich entwerfe Stil. Mir geht es eher darum quasi allgemeingültige Klassiker, eine moderne und zeitlose Ästhetik zu verwirklichen. Das bewährte mit neuen Erkenntnissen verbinden und weiter entwickeln. Entwicklung ist das Gesetz des Lebens.
Wer ist für Sie eine Stilikone?
(schmunzelt) Ich. Wenn wir von medial inszenierten Personen sprechen, würde mir jetzt spontan Tom Ford einfallen. Er wirkt auf mich authentisch. Es ist jedoch müßig darüber zu sprechen, weil es ja nur mediale Abbilder sind.
Wo sehen sie sich selbst in 10 Jahren?
Keine Ahnung. Bzw. ich möchte jetzt nicht über meine Träume sprechen, damit sie Wirklichkeit werden. (lacht)… Was mir an der Modebranche nicht gefällt ist der Druck, immer alle 6 Monate was rausbringen zu „müssen“. Ich hätte es lieber wie ein Musiker: Wenn die Platte fertig ist, ist die Platte fertig. Und wenn es auch mal zwei Jahre dauert. Dieses Hamsterrad in unserer Branche nervt.
Wir haben unser Gespräch mit dem Thema Frankfurt begonnen, damit möchte ich es auch abschließen: Was würden Sie konkret an Frankfurt ändern?
Wie gesagt, zunächst die Seitenstraßen u.a. der Goethestraße durch weitere Geschäfte beleben, mehr mischen. Die Skyline – das Wahrzeichen von Frankfurt – weiter ausbauen, die Wolkenkratzer in das tägliche Leben durch Geschäfte, Restaurants, etc. einbeziehen. Die „Bar 22“ ist hierfür ein gelungenes Beispiel. Das würde auch weitere Touristen anlocken und Frankfurt noch einzigartiger machen.